Putins Netz: Russische Geldwäsche in Londongrad (2023)

Sechs Sanktionspakete hat die EU seit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine inzwischen verabschiedet. Ein nicht unerheblicher Teil davon betrifft Oligarchen, Parteigänger und Profiteure des Systems Putin. Denn diese Zeitgenossen verfügen über märchenhafte Reichtümer im Ausland, in den Metropolen und Steueroasen im Westen. Das System Putin beruht auf Korruption und Verbrechen: Wer den Staat, die Medien, die Justiz, die Polizei und die gesamte Volkswirtschaft beherrscht, kann sich grenzenlos bereichern. Wirklich sicher sind die zusammengeraubten Reichtümer aber nur, wenn sie im Ausland versteckt werden können: raus aus dem Rubel, raus aus Russland, hinein in Dollar, Euro, Schweizer Franken oder Yen, rein in Geldanlagen, die vor dem Zugriff des großen Diktators daheim einigermaßen sicher sind. Das sicherste Versteck sind legale Finanzanlagen und Investitionen, beispielsweise in Immobilien – und zwar solche, bei denen Eigentümer und Ursprung der Vermögen im Dunkeln bleiben. Putins Netz funktioniert nur dank der internationalen Geldwäscheindustrie, die Putin selbst und seinen Freunden zu Diensten ist.[1]

Seit über dreißig Jahren profitieren wir im Westen vom ständigen Zustrom schwarzen Geldes. Es kommt nicht immer aus Russland, sondern Potentaten aus vielen anderen Ländern der Erde sind fleißig dabei, ihr Vermögen bei uns unterzubringen. Das gilt nicht nur für die altbekannten Ziele in der Schweiz oder in Liechtenstein. Auch London wird seit Mitte der 1990er Jahre von Oligarchengeld aus Russland überschwemmt. Beinamen wie „Londongrad“ oder „Moskau an der Themse“ sind leider mehr als ein schlechter Witz. In der Stadt haben sich viele an diese Zustände gewöhnt, denn ein Großteil der dortigen Finanz- und Immobilienwirtschaft lebt davon – von Hotels und auf betuchte Klientel spezialisierten Geschäften und Dienstleistern ganz zu schweigen. In den Nobelvierteln der Stadt beherrschen die russischen Oligarchen den Immobilienmarkt, in den teuersten Wohnlagen wird russisches Schwarzgeld geparkt, und wer Luxusappartements verkauft, spielt bei der Geldwäsche ebenso mit wie derjenige, der mit Firmen(anteilen) handelt.

Goldene Visa für Oligarchen

Der britische Staat empfing die reichen Potentaten und Oligarchen aus aller Welt stets mit offenen Armen und seit 1994 auch mit goldenen Visa: Wer genug Geld mitbrachte, mindestens zwei Millionen Pfund, bekam einen britischen Pass. Nach der Herkunft der Millionen wurde nicht gefragt – je mehr, desto besser. So strömten die Oligarchen, die Russland nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion nach Belieben ausplünderten, ins Land. Putins Freunde setzten diese Tradition fort und ließen sich in Massen im gastlichen Königreich nieder, mit Vorliebe in London. Die Folgen sind ein völlig überdrehter Immobilienmarkt, Mieten und Immobilienpreise, die durch alle Decken schießen, eine brutale Vertreibung selbst wohlbetuchter Londoner durch millionenschwere Russen und andere Ausländer gleichen Kalibers.[2] Gegen Putins vermögende Freunde und ihre willigen Helfer aus der Londoner Finanzindustrie kam niemand an. Reiche Russen betätigten sich überall als Wohltäter, sie kauften Fußballklubs, sie bauten und förderten Museen, Kinos, Theater und füllten die Kassen der politischen Parteien. Mit dem Geld, das ihnen die britischen Banken und Anwälte bereitwillig wuschen, kauften Putins Freunde Einfluss und das Wohlwollen der britischen Elite.

Londons Rolle als (zweit)größter Finanzplatz der Welt, bestens vernetzt mit den Finanzmärkten in aller Welt, hat die Stadt zur bevorzugten Drehscheibe der internationalen Geldwäsche gemacht. Über einige Zwischenstationen wie die Republik Moldau oder Georgien, aber selbst über die EU-Mitglieder Estland und Lettland flossen Jahr für Jahr Milliarden aus Russland nach London. Einmal dort angelangt, erlaubt das internationale Finanzzentrum den Profiteuren des Putin-Regimes, ihre Beute in alle Welt zu verschieben – dorthin, wo ihnen weder der russische Staat noch westliche Regierungen mit ihren Sanktionen viel anhaben können. So gut wie alle europäischen und mehr als die Hälfte aller Steuerparadiese weltweit sind mit der City of London vernetzt. Dazu gehören die Kronbesitzungen Jersey, Guernsey und die Isle of Man, aber auch Gibraltar, die Kaiman- und die Jungferninseln und alle 14 britischen Überseegebiete, die sämtlich von London kontrolliert werden. Dazu gehören aber auch etliche kleinere und größere Steueroasen wie die Bahamas, Singapur, Hongkong, Dubai und Irland, die politisch von London unabhängig, aber doch eng mit der City verbunden sind. Weit mehr als die Hälfte aller internationalen Bankvermögen befinden sich in dieser Zone – mit London als Zentrum und einem Netz von Steuerparadiesen und Offshore-Finanzplätzen drum herum. Dieses Netz erlaubt es den Bankern der City, weltweit Geschäfte zu betreiben, die in London selbst bzw. an den europäischen Finanzplätzen verboten sind. Die USA mit New York als größtem internationalem Finanzplatz bilden ein weiteres Zentrum eines Netzes von Steuerparadiesen und Offshore-Zentren. Und diese Netze sind alle eng miteinander verbunden. Ein Paradies für die internationale Geldwäsche.

Dieser Artikel stammt aus der Ausgabe Juni 2022. Klicken Sie hier, um zur Inhaltsübersicht dieser Ausgabe zu gelangen.

Abschied von Londongrad?

Nun aber hat Premierminister Boris Johnson vollmundig angekündigt, seine Regierung werde Hunderte von russischen Oligarchen mit Sanktionen überziehen. Innenministerin Priti Patel tönte, man wolle das schmutzige Geld der Russen nicht mehr im Lande haben. Und Außenministerin Liz Truss ließ wissen, sie führe eine Liste mit Namen von Putin nahestehenden Oligarchen, und die würde jetzt abgearbeitet. Viel geschehen ist bisher jedoch nicht, gerade einmal 18 russische Oligarchen sind bisher wirksam sanktioniert worden.

Johnsons Zögerlichkeit hat Gründe. Und dazu zählen nicht nur die Geldspenden reicher Russen mit britischem Pass, die den Tories regelmäßig zufließen. Mehr als zwei Mio. Pfund sollen es seit seinem Einzug in die Downing Street gewesen sein. Gefälligkeiten und Geschenke erhalten die Freundschaften, die der Premier mit etlichen Oligarchen pflegt.[3] Schwerer wiegt aber etwas anderes: Die Beihilfe zur Geldwäsche und Steuerhinterziehung für die russischen Oligarchen – und nicht nur für diese – ist ein lukratives Geschäft. Vom Oligarchengeld lebt eine ganze Dienstleistungsindustrie. Dabei fällt genug ab für London und den Südosten der Insel, sogar für den britischen Staat.

Oligarchen waschen ihr Geld nicht alleine, sie brauchen Helfer: auf Finanztransaktionen spezialisierte Firmen, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer, überdies international tätige Wirtschaftsanwälte, nicht zuletzt global agierende Banken und mit allen Wassern gewaschene Banker. Ohne die zehntausenden willigen Helfer, ohne die Armeen der eigentlichen Geldwäscher würde es den Oligarchen kaum gelingen, ihre ergaunerten Millionen sicher im Ausland unterzubringen, beispielsweise in zahlreichen Schein- und Briefkastenfirmen, auf geschützten Bankkonten, in kunstvoll verflochtenen Firmenkonstrukten, in Immobilien und Stiftungen. Nirgends können junge Anwälte, Betriebswirte, Banker oder PR-Spezialisten so rasch so viel verdienen wie in der Finanzdienstleistungsindustrie, die in den Zentren der globalen Geldwäsche, in London, Paris, Madrid, Amsterdam, New York, Singapur, Zürich und anderswo floriert. Teure Anwälte, Steuerberater und Wirtschaftsprüfer sind ein Muss in dieser Welt – und sie sind für die staatlichen Akteure schwer zu fassen. Korruption ist an der Tagesordnung: Journalisten, Abgeordnete, Beamte lassen sich kaufen, der gut bezahlte Lobbyismus – auch für russische Staatsfirmen – blüht. Allein in London zählt die Finanzindustrie 400 000 direkt Beschäftigte. Den russischen Oligarchen ans Geld zu gehen, kommt daher in der City gar nicht gut an.

Sanktionen gegen russische Oligarchen kann man zudem nur mit einem Generalverdacht begründen: Ihr Reichtum stammt aus dunklen Quellen, es ist ergaunertes Vermögen, die Frucht illegaler, zumindest dubioser Geschäfte. Dass jemand Geschäfte in oder mit Russland gemacht hat, wäre kein hinreichender Grund für das Einfrieren seiner Vermögenswerte. Auch wenn man es nicht offen ausspricht: Hinter den Sanktionen gegen das Auslandsvermögen reicher Russen steht die wohl begründete Vermutung, dass es sich dabei um die Früchte organisierter Kriminalität handelt.

Der Kampf gegen die Geldwäsche

Ohne Geldwäsche kann die organisierte Kriminalität nicht lange überleben, es sei denn im Untergrund. Da wollen die Profiteure aber nicht bleiben, von Gangsterromantik halten sie wenig. Also gilt es, den Ertrag der bösen Taten reinzuwaschen, auf dass Verbrechen sich lohne. Erstens müssen die Herkunft des Raubs verschleiert und alle Spuren verwischt werden, zweitens die schwarzen Gelder in die Kreisläufe der legalen Wirtschaft eingeschleust und drittens diese Vermögenswerte in legales Eigentum verwandelt werden – und ihre Eigentümer in respektable Mitglieder der guten Gesellschaft der Vermögensbesitzer. Die Umsätze der organisierten Kriminalität machen nach den gängigen Schätzungen der Vereinten Nationen zwischen acht und zehn Prozent der globalen Wirtschaftsleistung aus. Dabei werden Drogen- und Menschenhandel, Prostitution, Waffenhandel, Raub, Betrug und Erpressung berücksichtigt, die Erträge systematischer Korruption wie im System Putin aber vernachlässigt.[4]

Nun kommt mit der Sanktionspolitik auch der Kampf gegen die Geldwäsche und die vielerorts florierenden Geldwaschanlagen wieder auf die Agenda der europäischen Politik. Nachdem 1991 die erste Geldwäscherichtlinie der EU erlassen wurde, damals in erster Linie gegen den internationalen Drogenhandel gerichtet, hat sich lange nicht viel getan. Erst zehn Jahre später folgte die zweite Richtlinie, neben Banken und Finanzdienstleistern wurden auch Institutionen außerhalb des Finanzsektors ins Visier genommen. Mit der dritten Geldwäscherichtlinie von 2005 sollte die Finanzierung des internationalen Terrorismus bekämpft werden. Mit jeder weiteren Richtlinie, inzwischen sind wir bei der sechsten angelangt, wurde der Katalog der verdächtigen und strafbaren Handlungen ebenso ausgedehnt wie der Katalog der Pflichten, denen Banken oder Finanzdienstleister genügen müssen, um sich nicht der Beihilfe zur Geldwäsche schuldig zu machen.

Deutschland hat sich bemüht, die EU-Richtlinien durch Novellen des Geldwäschegesetzes umzusetzen. Mit dem Transparenz- und Finanzinformationsgesetz, vorgelegt im August 2021, versucht Berlin etwa, den Betreibern der Geldwaschanlagen und ihrer internationalen Kundschaft auf die Spur zu kommen. Seit August letzten Jahres besteht in der Bundesrepublik bei Bareinzahlungen ab 10 000 Euro sogar eine Verpflichtung, die Herkunft des Geldes nachzuweisen.

Sanktionen, die kaum schaden

Die meisten der milliardenschweren russischen Oligarchen, die jetzt von der EU, den USA und Großbritannien sanktioniert werden, stehen schon seit 2014, seit der Krim-Annexion, auf Sanktionslisten. Neu hinzugekommen sind nur Putin selbst und einige Personen aus seinem engsten Umfeld. Geschadet hat es ihnen bisher kaum. Insgesamt 877 Personen sind in der EU mit Sanktionen belegt worden und müssen mit der Beschlagnahme ihres Vermögens bzw. dem Einfrieren ihrer Bankkonten rechnen. Nach der ersten Bilanz der EU-Kommission sind bis Mitte April gut 30 Mrd. Euro an Vermögenswerten von Oligarchen und mit dem russischen Staat eng verbundenen Unternehmen eingefroren worden, darunter Immobilien, Schiffe und Kunstwerke im Wert von fast sieben Mrd. Euro. Dazu sind Transaktionen in Höhe von fast 196 Mrd. Euro blockiert worden.

Durchgesetzt werden müssen die Sanktionen allerdings von den Mitgliedstaaten. Dabei sind einige deutlich schneller und erfolgreicher als andere: Frankreich, Italien und die Niederlande gehen voran. Deutschland hinkt hinterher, die Bilanz der bislang beschlagnahmten bzw. eingefrorenen Oligarchenvermögen ist mit weniger als 100 Mio. Euro eher mager. Daher hat die EU-Kommission in Kooperation mit den USA und Großbritannien begonnen, eine transatlantische Taskforce einzurichten, die die gut versteckten Reichtümer der Oligarchen aufspüren soll.

Der käufliche Westen

Putins Clan und seine Oligarchen nutzen ihre Auslandsvermögen seit gut 20 Jahren nicht fürs Dolce Vita im vermeintlich dekadenten Westen. Sie nutzen sie, um politischen Einfluss zu kaufen, um populistische, antidemokratische Bewegungen zu finanzieren. In Großbritannien, in den USA, in Deutschland haben sie damit immer wieder Erfolg gehabt.[5]

Die demonstrative Verachtung des Westens, die in Putins Welt herrscht, entspringt der Erfahrung dieser Leute: Jeder und jede ist käuflich, es kommt nur auf den richtigen Preis an. Wie leicht und wie billig auch hochrangige deutsche Politiker zu kaufen waren, dürfte das einzige sein, was Putins Netzwerker bei ihren Aktivitäten in Europa überrascht haben könnte. Wer dieser Form der internationalen Politik mittels Korruption entgegentreten will, muss endlich die Geldquellen verstopfen, von denen sie lebt.

[1]Vgl. Catherine Belton, Putins Netz. Wie sich der KGB Russland zurückholte und dann den Westen ins Auge fasste, Hamburg 2022.

[2]Es ist kein Zufall, dass Offizielle des russischen Staates, die Diplomaten mit ihren Familien, in denselben Nobelvierteln Londons residieren wie die Familien der russischen Oligarchen.

[3]Annette Dittert, Feuertaufe für Global Britain: Boris Johnson im Ukraine-Krieg, in: „Blätter“, 4/2022, S. 98-103.

[4]Vgl. etwa Brigitte Unger und Daan van der Linde (Hg.), Research Handbook on Money Laundering, Utrecht 2013.

[5]Vgl. für Großbritannien: Anthony Sampson, Who Runs This Place? The Anatomy of Britain in the 21st Century, Kent 2004.

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Author: Ouida Strosin DO

Last Updated: 12/21/2022

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