Der Kapitalismus war zweifellos ein historischer Fortschritt, hat aber leider eine fundamentale Schwäche: Er erzeugt nicht nur Wachstum, sondern muss auch wachsen, um stabil zu sein. Ohne ständige Expansion bricht der Kapitalismus zusammen. In einer endlichen Welt kann man aber nicht unendlich wachsen. Und dennoch tun die Industriestaaten so, als könnten sie mehrere Planeten verbrauchen. Bekanntlich gibt es aber nur eine Erde.
Die nächste Epoche wird daher eine „Überlebenswirtschaft“ sein müssen, die den Kapitalismus überwindet. In der Klimadebatte wird stets suggeriert, dass wir die Lösung schon hätten und allein der politische Wille fehle. Doch tatsächlich gibt es bisher kein Konzept, wie sich der Kapitalismus friedlich beenden ließe. Es wird nur über Nichtlösungen gestritten. Bisher setzen die Regierungen darauf, dass sie Wirtschaft und Klimaschutz irgendwie versöhnen könnten. Die typischen Stichworte heißen „Green New Deal“ oder „Entkopplung“ von Wachstum und Energie. Die große Hoffnung ist, dass sich die gesamte Wirtschaft auf Ökostrom umstellen ließe – ob Verkehr, Industrie oder Heizung.
Dieses „grüne Wachstum“ ist jedoch eine Illusion, denn der Ökostrom wird nicht ausreichen. Diese Aussage mag zunächst überraschen, schließlich schickt die Sonne 5000mal mehr Energie zur Erde, als die acht Milliarden Menschen benötigen würden, wenn sie alle den Lebensstandard der Europäer genießen könnten. An physikalischer Energie fehlt es also nicht, aber bekanntlich muss die Sonnenenergie erst einmal eingefangen werden. Solarpaneele und Windräder liefern jedoch nur Strom, wenn die Sonne scheint und der Wind weht. Um für Flauten und Dunkelheit vorzusorgen, muss Energie gespeichert werden – und dieser Zwischenschritt ist so aufwendig, dass Ökostrom knapp bleiben wird. Wenn die grüne Energie reichen soll, bleibt nur „grünes Schrumpfen“.
Es ist kein neuer Gedanke, dass permanentes Wachstum keine Zukunft hat. Viele Klimaaktivisten sind längst überzeugt, dass die Natur nur überleben kann, wenn der Kapitalismus endet. Also haben sie den eingängigen Slogan geprägt: „system change, not climate change“. Auch mangelt es nicht an Visionen, wie eine ökologische Kreislaufwirtschaft aussehen könnte, in der nur noch so viel verbraucht wird, wie sich recyceln lässt. Stichworte sind unter anderem Tauschwirtschaft, Gemeinwohlökonomie, Konsumverzicht, Arbeitszeitverkürzung oder bedingungsloses Grundeinkommen.
Doch wie lässt sich eine ökologische Kreislaufwirtschaft erreichen? Das bleibt unklar, denn die Vision wird meist mit dem Weg verwechselt. Das Ziel soll zugleich der Übergang sein. Nur selten wird gefragt, wie man eigentlich aus einem ständig wachsenden Kapitalismus aussteigen soll, ohne eine schwere Wirtschaftskrise zu erzeugen und Millionen Menschen in die Arbeitslosigkeit zu schicken. Es fehlt die Brücke aus der dynamischen Gegenwart in eine statische Zukunft.
Viele Klimaaktivisten spüren, dass der Abschied vom Kapitalismus schwierig wird. Greta Thunberg wurde kürzlich von einem Anhänger gefragt, wie denn das künftige System aussehen soll. „Ich weiß es nicht“, antwortete sie. „Es wurde bisher noch nicht erfunden.“
Um sich das „grüne Schrumpfen“ vorzustellen, hilft es, vom Ende her zu denken. Wenn Ökostrom knapp bleibt, sind Flugreisen und private Autos nicht mehr möglich. Banken werden ebenfalls weitgehend überflüssig, denn Kredite lassen sich nur zurückzahlen, wenn die Wirtschaft wächst. In einer klimaneutralen Wirtschaft würde niemand hungern – aber Millionen von Arbeitnehmern müssten sich umorientieren. Zum Beispiel würden sehr viel mehr Arbeitskräfte in der Landwirtschaft und auch in den Wäldern benötigt, um die Folgen des Klimawandels zu lindern.
Diese Sicht auf die Zukunft mag radikal erscheinen, aber sie ist im wahrsten Sinne des Wortes „alternativlos“. Wenn wir die emittierten Treibhausgase nicht auf netto null reduzieren, geraten wir in eine „Heißzeit“, die ganz von selbst dafür sorgt, dass die Wirtschaft schrumpft. In diesem Klimachaos käme es wahrscheinlich zu einem Kampf aller gegen alle, den unsere Demokratie nicht überleben würde.
Vorbild Großbritannien 1939
Manche Deutschen fragen sich allerdings auch, ob es überhaupt sinnvoll ist, auf nationaler Ebene über den Klimaschutz nachzudenken. Sie fürchten, dass andere Länder es sogar ausnutzen könnten, wenn wir unsere Treibhausgase reduzieren. So schreibt der Ökonom Hans Werner Sinn: „Ob man nun an Kohle, Erdöl oder Erdgas denkt: Wenn Deutschland weniger kauft und verbrennt, dann können die Chinesen halt mehr kaufen und verbrennen.“ Dieses Misstrauen ist verständlich, verkennt aber, dass fast alle anderen Staaten unter der Klimakatastrophe noch weit stärker leiden als Deutschland. Es liegt in ihrem Eigeninteresse, die Treibhausgase ebenfalls zu reduzieren.
Der Kernfehler der marktorientierten Ökonomen ist, dass sie die Ökoenergie für ein normales Produkt halten, das sich beliebig vermehren lässt, wenn die Nachfrage steigt. Also glauben sie, dass nur „Preissignale“ nötig wären, um den Ausbau von Windrädern und Solarpaneelen zu forcieren. Die Idee ist: Wenn die CO2-Steuern hoch genug sind, wird fossile Energie so teuer, dass alle Firmen und Haushalte begeistert auf Ökostrom umsteigen. Die Ökoenergie ist aber nicht beliebig steigerbar – sondern wird, schon aus physischen und technischen Gründen, knapp bleiben. Grüne Technik verschlingt nämlich nicht bloß Stahl, Beton und Aluminium, was bisher ausreichend vorhanden ist – sondern auch eher knappe Mineralien. Dazu gehören unter anderem Lithium, Nickel, Kupfer, Kobalt, Mangan, Graphit und seltene Erden wie Neodym. Nur zum Vergleich: Ein herkömmliches Auto benötigt 35 Kilo dieser Rohstoffe, während es bei einem E-Auto etwa 210 Kilo sind – also sechsmal so viel. Auch Windräder drehen sich nicht von Luft allein. Pro Megawatt installierter Leistung werden mehr als 10 000 Kilo an Mineralien benötigt, und wenn die Rotoren im Meer stehen, sind es sogar 15 000 Kilo. Solarpaneele erfordern nicht ganz so viele Rohstoffe, kommen aber auch auf 7000 Kilo. Konventionelle Kraftwerke sind da viel sparsamer: Wird Kohle verfeuert, sind 2500 Kilo Mineralien pro Megawatt nötig; bei Gas sind es sogar nur 1200 Kilo. Der Bedarf an Mineralien wird also explodieren, wenn die ganze Welt klimaneutral wirtschaften will. Die Internationale Energieagentur prognostiziert, dass sich die Nachfrage nach Kupfer bis 2040 mehr als verdoppeln, die nach Lithium aber auf das 42fache steigen wird, bei Graphit auf das 25fache, bei Kobalt auf das 21fache, bei Nickel auf das 19fache und bei den seltenen Erden auf das Siebenfache. Doch mit diesen sehr konkreten Fragen befassen sich Ökonomen nicht, sondern sie verharren in ihrer theoretischen Welt der Preise.
Die Debatte hat sich inzwischen festgefahren, und zwei Lager stehen sich dabei unversöhnlich gegenüber: Die meisten Politiker, Klimaforscher und Ökonomen hoffen auf „grünes Wachstum“, obwohl die Ökoenergie nicht reichen dürfte. Umgekehrt fordern daher die Wachstumskritiker, dass Einkommen und Verbrauch sinken müssen. Ihnen fehlt jedoch ein Plan, wie sie dabei eine schwere Wirtschaftskrise vermeiden können, die Millionen Menschen in Armut und Verzweiflung stürzt.
Schrumpfen, ohne Chaos zu erzeugen
Gesucht wird also eine Idee, wie sich die Wirtschaft schrumpfen lässt, ohne dass Chaos ausbricht. Zum Glück bietet die Geschichte dafür ein Vorbild. Ausgerechnet die britische Kriegswirtschaft taugt als Anregung, wie sich eine klimaneutrale Welt geordnet anstreben ließe.
Um möglichen Missverständnissen vorzubeugen: Nicht jede Kriegswirtschaft eignet sich als Vorbild. Hier wird nur die britische Kriegswirtschaft ab 1939 geschildert. Sie war keineswegs die einzige Kriegswirtschaft, die es in der Weltgeschichte je gegeben hat. Momentan zeigt Putins brutaler Angriff auf die Ukraine, dass jede militärische Auseinandersetzung dramatische Folgen auch für die Wirtschaft hat. Zudem kann es in einem einzigen Krieg gleich mehrere Modelle geben, wie die Ökonomie umgestaltet wird. Im Zweiten Weltkrieg hatten nicht nur die Briten und Amerikaner, sondern auch Hitler und Stalin ihre je eigenen Formen einer Kriegswirtschaft. Nicht jede Kriegswirtschaft eignet sich also als Analogie, wie sich eine ökologische Transformation gestalten ließe.
Die Briten standen 1939 vor einer monströsen Herausforderung: Sie hatten den Zweiten Weltkrieg nicht kommen sehen und mussten nun in kürzester Zeit ihre Wirtschaft auf das Militär ausrichten, ohne dass die Bevölkerung hungerte. Fast über Nacht entstand eine Planwirtschaft, die bemerkenswert gut funktionierte. Die Fabriken blieben in privater Hand, aber der Staat steuerte die Produktion – und organisierte die Verteilung der knappen Güter. Es wurde rationiert, aber es gab keinen Mangel. Die Briten erfanden also eine private und demokratische Planwirtschaft, die mit dem dysfunktionalen Sozialismus in der Sowjetunion nichts zu tun hatte.
Der Krieg als Metapher – und Motivation zu höchster Anstrengung
Natürlich wäre es aberwitzig, die damaligen Maßnahmen einfach zu kopieren – schließlich leben wir fast ein Jahrhundert später und befinden uns auch nicht im Krieg mit dem Klima. Aber einige Parallelen gibt es, die für eine nachhaltige Zukunft sehr instruktiv sind. Denn bei der britischen Kriegswirtschaft ab 1939 kommen mehrere Faktoren zusammen, die sie als Anregung interessant machen. Erstens: Die Briten lebten in einer Demokratie; ihr Premierminister Churchill war frei gewählt. Eine „Ökodiktatur“ wird zu Recht gefürchtet, doch wie die Briten bewiesen haben, sind auch Demokratien fähig, entschlossen zu handeln. Zweitens: Die Briten führten keinen Angriffskrieg, sondern mussten sich gegen Hitler verteidigen. Sie befanden sich in einer unfreiwilligen Notsituation, die zudem verspätet erkannt wurde. Lange Zeit hatten die Briten noch gehofft, sie könnten Hitler durch „Appeasement“ befrieden und von einem Krieg abhalten. Ähnlich erleben wir heute den Klimawandel. Seine Dramatik wurde nur verzögert verstanden, zwingt uns aber jetzt zum Handeln. Drittens: Die Briten mussten ihre normale Wirtschaft in kürzester Zeit stark herunterfahren, damit in den Fabriken Kapazitäten frei wurden, um Militärgüter herzustellen. Von all dem lässt sich lernen, wie sich eine schrumpfende Wirtschaft organisieren lässt.
Wachstumskritikern wird gern unterstellt, dass sie große Freude daran hätten, ihre Mitmenschen zu quälen. „Bevormundung macht denjenigen Spaß, die sich die Verbote ausdenken“, klagt etwa die „Bild“-Journalistin Nena Schink, der davor graut, dass Deutschland „zu einer Verbotsnation mutieren“ könnte. Leider wird es ohne Verbote nicht gehen. Unsere Lebensweise kann nur dann ökologisch sein, wenn nicht jede jederzeit unbegrenzt konsumiert. Die Analogie zum Zweiten Weltkrieg ist daher passend: Sie macht klar, dass es Opfer kostet, eine ökologische Kreislaufwirtschaft aufzubauen. Nur Verzicht sichert das Überleben – wie im Krieg.
Es ist auch nicht ungewöhnlich, vom „Krieg“ zu sprechen, sobald ein großes Problem zu lösen ist. So wurden schon Kriege gegen die Armut, gegen die Drogen oder gegen den Krebs ausgerufen. Allerdings wird das Wort „Krieg“ hierbei nur als Metapher verwendet und soll herausstreichen, dass höchste Anstrengung geboten ist. Auch während der Corona-Pandemie war es üblich, militärische Vergleiche zu ziehen. US-Präsident Trump sagte – nachdem er lange das Virus kleingeredet hatte – in einer Pressekonferenz: „Wir sind im Krieg und wir bekämpfen einen unsichtbaren Feind.“ Der französische Präsident Macron sah sich ebenfalls im Krieg, der eine „Generalmobilmachung“ erforderte, während die britische Königin Elisabeth II. von Pflegekräften „an der Front“ sprach. Diesmal waren die Analogien zum Zweiten Weltkrieg wortwörtlich gemeint, und in einigen Staaten wurden sogar Verordnungen aus Kriegszeiten reaktiviert. Trump holte beispielsweise den „Defence Production Act“ wieder hervor, den man 1950 im Koreakrieg erlassen hatte, um den Autokonzern General Motors zu zwingen, Beatmungsgeräte herzustellen. So wie früher Panzer für die Schlacht produziert worden waren, so galten jetzt Masken und Impfstoffe als „Waffen gegen den Virus“. Und wie im Krieg zog der Staat alle wichtigen Entscheidungen an sich: Binnen Tagen wurden Schulen und Gaststätten geschlossen, die Angestellten ins Homeoffice geschickt, riesige Rettungspakete geschnürt und Grenzen teilweise abgeriegelt. Geld spielte keine Rolle mehr, es ging allein um den „Sieg“ gegen die Pandemie. Hier zeigte sich: Der Staat kann handeln, wenn er will.
Der Staat kann handeln, wenn er will
Diese Tatsache ist auch den Klimaschützern nicht entgangen: Sie neigen ebenfalls dazu, den Kampf gegen die Klimakrise mit dem Zweiten Weltkrieg zu vergleichen. Schon 2018 wünschte sich der Weltklimarat IPCC eine globale „Mobilmachung“, und auch der Ökonomie-Nobelpreisträger Joseph Stiglitz propagiert diese Idee. Klimaschützer begeistert vor allem, wie schnell es den Alliierten damals gelang, die nötigen Waffenarsenale zu produzieren, um Deutschland und seine Verbündeten zu besiegen. Ähnlich schnell sollen nun Windräder, Solarpaneele und E-Autos hergestellt werden.
Die meisten Autoren interessieren sich allerdings nicht so sehr für Großbritannien, sondern vor allem für die USA, weil dort aus dem Nichts riesige Waffenschmieden errichtet wurden, nachdem die Japaner im Dezember 1941 Pearl Harbor angegriffen hatten. Unter anderem bauten die Amerikaner in nur sechs Monaten eine Flugzeugfabrik in Michigan, in der täglich 24 B24 Bomber produziert wurden, obwohl jedes einzelne Flugzeug 1 225 000 Teile und 313 237 Nieten benötigte.Ähnlich beeindruckend war die US-Produktion der standardisierten „Liberty“-Frachter. Diese Schiffe sollten die Verluste ausgleichen, die durch die deutschen U-Boote im Atlantik entstanden. Anfangs dauerte es acht Monate, um einen einzigen Frachter herzustellen, der aus 250 000 Teilen bestand. Am Ende wurde alle fünf Tage ein Schiff gebaut. Gleichzeitig wurden bestehende Fabriken einfach umgewidmet: Heizungsfirmen stellten Helme her, aus Unterwäsche wurden Tarnnetze, Rechenmaschinen verwandelten sich in Pistolen, und Staubsaugerbeutel fanden sich in Gasmasken wieder. Die Stoffe für Autositze wurden zu Fallschirmen, während die Autokonzerne Maschinengewehre und Kanonen, Jagdflugzeuge und Panzer bauten. Zwischen 1942 und 1945 gab die US-Regierung mehr Geld aus, als sie insgesamt von 1789 bis 1941 verbraucht hatte. In den Kriegsjahren stellten die USA 87 000 Marineschiffe, 300 000 Flugzeuge, 100 000 gepanzerte Fahrzeuge und Panzer sowie 44 Mrd. Schuss Munition her. Auch US-Präsident Roosevelt staunte über dieses „Wunder der Produktion“.
Schmerzfrei ökologisch?
Diese gigantische Materialschlacht hatte das Wachstum damals kräftig angekurbelt, und ähnlich optimistische Visionen entfalten viele Klimaschützer, wenn es um die Zukunft geht. So schwärmt der US-amerikanische Aktivist Bill McKibben: „Den Klimawandel zu stoppen, würde einen enormen sozialen und ökonomischen Nutzen erzeugen, genau wie es der Zweite Weltkrieg tat.“ Auch der philippinische Ökonom Laurence Delina will „lähmenden Pessimismus“ vermeiden und glaubt, mit der Kriegswirtschaft das richtige Mittel gefunden zu haben, um „höchst optimistische Strategien“ zu entwickeln, damit der Klimaschutz „zu einer der größten Chancen für sozialen, technischen, politischen, ökonomischen und kulturellen Wandel werden kann“.
Bei Klimaschützern ist die US-Kriegswirtschaft auch deshalb so beliebt, weil sie weitgehend schmerzfrei war. Die Amerikaner mussten sich im Krieg zwar ein wenig einschränken, da die Firmen keine Autos oder Nylonstrumpfhosen mehr herstellten, sondern Panzer und Fallschirmseide produzierten. Aber insgesamt hielt sich der Verzicht in Grenzen. Pro Person und Woche gab es immer noch mehr als ein Kilo Fleisch – was genau der Menge entspricht, die auch die Deutschen heute im Wochendurchschnitt essen. Auch die eigentliche Aufrüstung ließ sich mühelos finanzieren. Das Militär verschlang zwar bis zu 42 Prozent der Wirtschaftsleistung, aber die Gesamtwirtschaft expandierte noch weit schneller. In den USA legte sie insgesamt um 90,5 Prozent zu, und in Kanada verdoppelte sie sich sogar um mehr als 100 Prozent. Die Nordamerikaner sind im Krieg reicher geworden.
Doch genau, weil das damalige Wachstum in den USA so unglaublich war, kann es nicht die grüne Zukunft sein, die Kriegswirtschaft der Nordamerikaner zu kopieren. Die Ökoenergie würde niemals reichen, um diese Materialflut zu erzeugen. Natürlich müssen wir maximal in Windräder, Solarpaneele, Wärmepumpen, Elektrolyseure, Stromnetze, Bahnschienen oder Batterien investieren – insofern passt der Vergleich mit der amerikanischen Mobilmachung im Zweiten Weltkrieg. Aber rasantes und exorbitantes Wachstum darf daraus nicht entstehen. Die britische Kriegswirtschaft ist daher besser geeignet, ein Modell für die Zukunft abzugeben. Denn im Vereinigten Königreich musste die zivile Produktion tatsächlich stark schrumpfen, um Kapazitäten für das Militär freizuräumen. Der Krieg beanspruchte etwa 50 Prozent der britischen Wirtschaftsleistung – die in dieser Zeit aber kaum expandierte. Von 1939 bis 1945 erreichte das Wachstum insgesamt nur 27 Prozent. Zwar konnten die Briten Waffen und Waren auch aus Nordamerika und dem Commonwealth importieren, aber diese reichten bei Weitem nicht aus, um den Lebensstandard aus Friedenszeiten zu sichern. Der Krieg ging an die Substanz.
Die Briten hatten Hitler lange unterschätzt, weil sie auf gar keinen Fall erneut kämpfen wollten. „Niemals wieder“, lautete das Motto, weil der Erste Weltkrieg so furchtbar gewesen war. Zwischen 1914 und 1918 waren mehr als 16,5 Millionen Menschen umgekommen, dazu gehörten 723 000 Briten und weitere 230 000 Soldaten aus dem britischen Commonwealth. Zudem schreckten die Kosten eines Krieges: Die Weltwirtschaftskrise hatte schwere Schäden hinterlassen, und um den Staatshaushalt zu entlasten, waren die britischen Verteidigungsausgaben bis 1934 um ein Viertel gekürzt worden.
Die britischen Geheimdienste waren zwar bestens über Hitlers Aufrüstung informiert, aber lange Zeit beruhigte sich die Regierung damit, dass die Deutschen nur ihre „nationale Einheit“ wieder herstellen wollten. Erst die „Sudetenkrise“ schreckte die Engländer auf, als Hitler 1938 ultimativ verlangte, dass das Sudetenland an das Deutsche Reich angeschlossen werden sollte. Dennoch ließen sich die Briten im September 1938 auf das „Münchner Abkommen“ ein. Die Deutschen durften das Sudetenland besetzen, während Hitler zusagte, die Souveränität der restlichen Tschechoslowakei zu achten. Dass dies eine Täuschung war, verstanden die meisten Briten erst am 15. März 1939, als deutsche Panzer in Prag einrollten.
Im Rückblick wirkt es naiv, dass der britische Premier Chamberlain lange Zeit überzeugt war, dass „Herrn Hitlers Ziele absolut begrenzt“ seien und er „die Wahrheit sagen“ würde, wenn er versicherte, dass er die Tschechen nicht „heim ins Reich“ holen wolle. Aber damals schien es tatsächlich kaum vorstellbar, dass Hitler einen weiteren Weltkrieg anzetteln wollte. Denn es war klar, dass er diesen Krieg verlieren würde. Das Deutsche Reich war schlicht zu arm, um ganz Europa zu unterwerfen. Die Briten hingegen waren damals eine militärische Supermacht. Sie besaßen die größte Flotte und die größte Flugzeugproduktion der Welt. Das Heer war zwar klein, aber voll motorisiert. Kein britischer Soldat ging zu Fuß, sondern alle saßen in gepanzerten Wagen. Im September 1940 glaubte die britische Militärführung daher noch, dass schon 1942 mit einem Sieg zu rechnen sei. Stattdessen wurden es noch fünf quälend lange Jahre.
Von der Markt- zur privaten Planwirtschaft
Als der Zweite Weltkrieg begann, wollte man die Fehler des Ersten möglichst vermeiden. Ab 1914 hatte man meist ad hoc entschieden und erst spät erkannt, dass ein totaler Krieg eine umfassende Planung benötigte. 1939 verloren die Briten daher keine kostbare Zeit mehr, sondern organisierten sofort eine Art „privater Planwirtschaft“. Der Staat gab vor, was produziert werden sollte – aber die Unternehmen blieben im Eigentum ihrer Besitzer. Firmen, Handwerksbetriebe, Restaurants oder Läden wurden nicht verstaatlicht, sondern konnten weiterhin selbst entscheiden, wie sie ihre Betriebe führten.
Die britische Planwirtschaft unterschied sich also fundamental vom Sozialismus, der zeitgleich unter Stalin in der Sowjetunion praktiziert wurde. In dieser „zentralen Planwirtschaft sowjetischen Typs“ waren alle Betriebe staatlich, und es wurde bis zur letzten Schraube reglementiert, wie die Fabriken ihre Waren herzustellen hatten. Die britische Regierung hingegen lenkte die Betriebe indirekt – indem sie Rohstoffe, Kredite und Arbeitskräfte zuteilte. Vor allem Beschäftigte waren so knapp, dass Unternehmen nur produzieren konnten, wenn sie Angestellte zugewiesen bekamen: Das „Manpower Budget“ wurde zum zentralen Steuerungsinstrument der Regierung.
Eine Menge „Manpower“ benötigten auch die Planungsbehörden selbst. Allein das neue Ernährungsministerium beschäftigte im April 1940 bereits 3500 Menschen, 39 000 Mitarbeiter waren es dann 1943. Trotzdem führten diese riesigen Bürokratien kein Eigenleben fern des Alltags, denn die Behörden waren durchsetzt von Experten und Geschäftsleuten. Gezielt wurden Ökonomen, Wissenschaftler, Ingenieure und Unternehmer angeheuert. Anfangs fehlten jedoch die nötigen Zahlen, um überhaupt planen zu können. Eine volkswirtschaftliche Gesamtrechnung existierte noch nicht. Niemand konnte sagen, wie viele Waffen, Flugzeuge und Panzer sich produzieren ließen, ohne dass die Bevölkerung hungern müsste.
Die Erfindung des BIP
Um diese Wissenslücken zu schließen, wurde damals das Bruttoinlandsprodukt (BIP) als Messgröße erfunden. Es war, wenn man so will, eine britische Kriegswaffe. Der Erfolg war so durchschlagend, dass es später weltweit von fast allen Ländern übernommen wurde: Das BIP hat sich zur wichtigsten statistischen Größe in der Ökonomie entwickelt, weil es die Wirtschaftsleistung und damit auch das Wachstum misst. Dank des BIP ließ sich nun genau einschätzen, dass 66 Prozent der britischen Industriekapazitäten benötigt wurden, um das Militär aufzurüsten.Für die Zivilbevölkerung blieben also kaum noch Güter übrig. Dabei war der Bedarf weit größer als zu Friedenszeiten, weil deutsche Bomben über eine Million englischer Wohnungen zerstörten. Zudem musste bei der Lebensmittelversorgung gekürzt werden, weil Großbritannien nicht autark, sondern zu 70 Prozent auf Importe angewiesen war. Diese Einfuhren mussten unbedingt sinken, da die Schiffe nun gebraucht wurden, um Waffen und Militärrohstoffe aus Übersee herbeizuschaffen. Lebensmittel kosteten wertvollen Platz.
Es wurde genau ausgerechnet, wie viele Kalorien sich mit welchem Nahrungsmittel importieren ließen. Dabei kam heraus: 1000 Kubikfuß Schiffsraum konnten 83 000 Zuckerkalorien, über 100 000 Fettkalorien und 56 000 Getreidekalorien transportieren – aber nur 12 000 Kalorien, wenn frische Eier verschifft werden sollten. Also wurden diese gestrichen und dafür wurde das getrocknete Eipulver erfunden. Die Briten haben im Zweiten Weltkrieg nicht gehungert, denn pro Kopf und Tag gab es 2800 Kalorien.Das war ausreichend: Heute raten Krankenkassen, dass Männer maximal 2400 Kalorien zu sich nehmen sollten. Bei Frauen sind es sogar nur 1900 Kalorien. Aber Quantität ist nicht gleich Qualität. Fleisch, Käse, Fett, Zucker, Tee und Seife waren so knapp, dass sie rationiert werden mussten. Echter Mangel herrschte aber auch bei diesen raren Gütern nicht. So reichte es weiterhin für mindestens 540 Gramm Fleisch pro Woche; Militärbeschäftigte erhielten sogar stattliche 1,2 Kilo. Nur Milch und Eier gab es für normale Erwachsene fast nie, sondern waren Kindern, Schwangeren und stillenden Müttern vorbehalten. Nicht rationiert waren Kartoffeln, Mehl und Brot. Auch Fisch, Geflügel, Wild, Innereien, Gemüse und Früchte wurden nicht limitiert. Denn sie waren entweder schnell verderblich, nur zu bestimmten Zeiten vorhanden oder nicht ausreichend verfügbar, um Rationen für alle zu garantieren.
Knapp waren natürlich auch Extras wie Konserven, Kekse, Schokolade, Süßigkeiten oder getrocknete Früchte. Für sie gab es ein Punktesystem. Jeder Kunde konnte individuell entscheiden, für welche Waren er seine Punkte verwenden wollte. Je nach Gesamtangebot veränderte die Regierung die Punktzahl, die für ein bestimmtes Produkt nötig war. Dieses Punktesystem galt auch für Möbel und Kleider. Um Material und Arbeitsaufwand zu sparen, wurden sie normiert, so dass Stühle oder Teller immer gleich aussahen. Für Kleider gab es ebenfalls strikte Vorschriften, damit keine unnötigen Verzierungen aufgenäht wurden. So durfte ein Frauenkleid nur maximal zwei Taschen und fünf Knöpfe aufweisen. Die Mengen und Preiskontrollen waren in Großbritannien ungemein populär. Wie die britische Regierung bereits 1941 feststellen konnte, war das Rationierungsprogramm „einer der größten Erfolge an der Heimatfront“.
Der Segen der staatlich verordneten Gleichmacherei
Die staatlich verordnete Gleichmacherei erwies sich als ein Segen: Ausgerechnet im Krieg waren die unteren Schichten besser versorgt als je zuvor. In Friedenszeiten hatte ein Drittel der Briten nicht genug Kalorien erhalten, weitere 20 Prozent waren zumindest teilweise unterernährt. Nun, mitten im Krieg, war die Bevölkerung so gesund wie nie, wobei „die Fitness der Babys und Schulkinder besonders hervorstach“.
Die Rationierungsprogramme waren deshalb so beliebt, weil jeder Brite genau das Gleiche bekam. Allerdings war es nur die halbe Wahrheit, dass der Wohlstand gar nicht mehr zählte. Denn die Eliten hatten das nötige Geld, um nicht rationierte Waren wie Fisch oder Wild zu kaufen, und konnten auch teure Restaurants aufsuchen. Aber diese Ungerechtigkeiten waren später vergessen. Im Rückblick wurde der Krieg als eine „Zeit des Gemeinsinns“ verklärt, „in der Klassen- und Standesunterschiede verblassen und die Namenlose genauso wichtig ist wie der Prinz“.
Der Konsum fiel damals um ein Drittel – und zwar in kürzester Zeit. Dieser enorme Rück- und Umbau macht die britische Kriegswirtschaft zu einem faszinierenden Modell für heute: Der deutsche Verbrauch muss nämlich ähnlich drastisch sinken, wenn das Klima gerettet werden soll.
Allerdings muss heute niemand fürchten, dass es wieder nur Kartoffeln, Brot und zwei Kleider pro Jahr geben könnte. So trist würde es nicht werden. In den vergangenen 80 Jahren ist die deutsche Wirtschaft real um das Zehnfache gewachsen. Selbst wenn von diesem gewaltigen Wohlstand nur die Hälfte übrig bliebe, wären wir immer noch so reich wie im Jahr 1978.Wer damals dabei war, erinnert sich: „Krieg der Sterne“ füllte die Kinosäle, und Argentinien wurde Fußballweltmeister. Kinder spielten mit Bonanzarädern und Slime. Das Leben fühlte sich kaum anders an als heute, war aber etwas gemächlicher. Statt mehrfach für ein verlängertes Wochenende nach Mallorca zu jetten, fuhr man einmal im Jahr mit dem eigenen Auto für drei Wochen nach Italien. In einer klimaneutralen Welt wäre man zwar mit dem Zug unterwegs, aber Urlaub wäre immer noch selbstverständlich.
Der Einstieg in die Kreislaufwirtschaft
Ein derartiges Modell könnte der Einstieg in eine echte Kreislaufwirtschaft sein. Die „Share Economy“ hat bereits betörende Visionen entwickelt, wie ein angenehmes Leben aussehen könnte, das nur so viel verbraucht, wie sich recyceln lässt. Das Ziel ist klar, nur der Weg fehlt. Bisher gibt es keinen Plan, wie sich der dynamisch wachsende Kapitalismus beenden ließe, ohne dass eine schwere Wirtschaftskrise droht. Die britische Kriegswirtschaft könnte ein solches Modell liefern: Sie zeigt, wie eine private Planwirtschaft die zivile Produktion geordnet schrumpfen kann – und wie sich dann knappe Güter rationieren lassen, damit der soziale Frieden erhalten bleibt.
Gewiss, heutzutage haben Planung und Rationierung einen schlechten Ruf. Wer nicht auf den „freien Markt“ setzt, dem wird unterstellt, dass er seine Mitmenschen triezen will. In einem Interview empörte sich sogar der Grüne Anton Hofreiter: „Sollen Leute ein Kontingent kriegen, wie viel sie Auto fahren dürfen? Soll es Bezugsscheine für Fleisch geben? Das ist absurd. Wir sind in einer freien Gesellschaft, da gibt es zum Glück keine solchen Instrumente.“
Viele Menschen glauben wie Hofreiter, „freier Markt“ und staatliche Lenkung seien Gegensätze, die sich absolut ausschließen. Doch das ist ein Irrtum. Auch im Kapitalismus wurde schon immer geplant – von den Unternehmen und von den Regierungen. Die Briten haben im Zweiten Weltkrieg vorgeführt, wie eine Regierung effektiv lenken kann, um die Wirtschaft radikal umzustellen. Die britische Kriegswirtschaft konnte jedoch nur deswegen so gut funktionieren, weil sie nichts radikal Neues einführte, sondern nur radikalisierte, was im Kapitalismus ohnehin schon angelegt ist. Denn auch wenn es von Marktradikalen gerne verdrängt wird: Selbst in normalen Zeiten spielt der Staat eine tragende Rolle. Deshalb wäre es jederzeit möglich, wieder in eine Art Kriegswirtschaft zu wechseln, um das Klima zu retten. Getreu der Devise: Aus den Erfahrungen des Kapitalismus lernen, heißt siegen lernen.
Der Beitrag basiert auf „Das Ende des Kapitalismus: Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind – und wie wir in Zukunft leben werden“, dem jüngsten Buch der Autorin, das soeben bei Kiepenheuer & Witsch erschienen ist.